ZEOK ist seit Januar 2020 Teil des neu gegründeten Kompetenznetzwerks zur Prävention von Islam- und Muslimfeindlichkeit. Das Kompetenznetzwerk besteht aus den drei Trägern CLAIM-Allianz, aej und ZEOK und wird im Rahmen des Bundesprogramms Demokratie leben! als bundesweite Anlauf-, Inpuls- und Transferstelle zum Thema gefördert.
Die Arbeit des ZEOK e.V. im Rahmen des Kompetenznetzwerks fokussiert sich auf die vorurteilsbewusste Bildung und Erziehung zum Thema Islam im Kontext Schule und in den Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe. Hierzu bieten wir Qualifizierungsmaßnahmen für pädagogische Fachkräfte an. Öffentliche Veranstaltungen werden wir hier veröffentlichen.
Fachtag: Islam und Unterricht
Datum: 16.09.2020
Veranstalter: Kooperation des Theologisch-pädagogischen Instituts Moritzburg und ZEOK – Zentrum für Europäische und Orientalische Kultur e.V.
Zentrale Frage:
Schülerinnen und Schüler sind in Medien, Gesellschaft und direkten Umfeld oft mit wenig
reflektierten und stereotypen Islambildern konfrontiert. Der Fachtag rückt die Frage in den
Vordergrund: Wie kann Unterricht zum Islam differenziert und vorurteilssensibel gestaltet werden?
Wie kann islambezogener Unterricht differenziert gestaltet werden? Und wie kann die Teilhabe aller Schülerinnen und Schüler gelingen?
So lauteten die Kernfragen der Fachtagung „Islam und Schule in Ostdeutschland“, die Konzepte und Materialien zur Bildungsarbeit gegen Muslimfeindlichkeit mit Akteuren aus Wissenschaft und Praxis diskutieren wollte. Ziel der Fachtagung war es zudem, die Aufgabe einer differenzierten Islambildung im schulischen Kontext als ein Thema von großer Relevanz im aktuellen öffentlichen Diskurs und in der Politik hervor zu heben.
Am 09.11.2019 fand die Fachtagung „Islam und Schule in Ostdeutschland“ in Kooperation mit dem Fachbereich Soziale Arbeit der Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur in Leipzig statt. Lehrer_innen, Sozialarbeiter_innen, Studierende sowie Verantwortliche in der Lehre und an Bildungsinstituten waren eingeladen, um im Rahmen der Fachtagung miteinander über die Konzepte und Möglichkeiten einer vorurteilsbewussten Islambildung sowie über die Möglichkeiten von Teilhabe und Partizipation muslimischer Familien ins Gespräch zu kommen. Pädagog_innen stehen hier anspruchsvollen Aufgaben gegenüber. Einerseits stellt sich die Frage, wie Kinder mit ihren unterschiedlichen kulturellen, religiösen und sprachlichen Familienhintergründen sowie den verschiedenen familiären Geschichtstraditionen abgeholt werden können und diese Zugehörigkeiten einen gleichberechtigten Raum finden können. Andererseits ist die Gesellschaft gefordert, sich stereotyper und damit diskriminierender Bilder bewusst zu werden und die Schüler_innen zur kritischen Reflexion dieser anzuregen.
Zur Erörterung der Fragestellungen waren eine Vielzahl hochrangiger Referent_innen eingeladen. Durch den Tag moderierte mit Charme und Witz die aus Berlin stammende Kommunikationstrainerin Fatma Erol-Kılıç.
Das Programm der Fachtagung umfasste zwei Vorträge am Vormittag, eine Podiumsdiskussion und vier parallel laufende Workshops am Nachmittag. (Hier als Download) Gerahmt wurde das Programm durch eine Ausstellung einer kleinen Auswahl von Werken der Künstlerin Soufeina Hamed/ tuffix, die in ihren Cartoons Themen wie Alltagsrassismus, muslimische Religiosität und Vorurteile aufgreift.1
Im Anschluss an die Workshopphase wurde die Tagung mit dem Filmbeitrag Haymat 4.0 von JUMA/ RAA Berlin e.V. abgerundet.2
Vortrag: Muslimbezogene Stereotype in der Schule
(Prof. Dr. R. Spielhaus)
Nach der Eröffnung der Tagung durch Elke Seiler (ZEOK e.V.) und Sebastian Vogel, der für das Sächsische Staatsministerium für Integration und Gleichstellung ein Grußwort sprach, richtete Frau Prof. Dr. Riem Spielhaus den Fokus auf das zentrale Tagungsthema, muslimbezogene Stereotype in der Schule. Frau Prof. Dr. Spielhaus (Georg-Eckert-Institut für Internationale Schulbuchforschung Braunschweig) zeigte in ihrem Vortrag auf, welche stereotypen Darstellungen und Ansprachen in aktuellen Schulbüchern verwendet, welche Assoziationen und Zusammenhänge damit transportiert werden und wie diese Ansprachen insbesonders auf muslimisch markierte Schülerinnen und Schüler wirken können. Vordergründig wird der Islam vielfach im Zusammenhang mit Konflikten und gesellschaftlichen Herausforderungen thematisiert, die Passfähigkeit des Islam mit dem europäischen Kontext bezweifelt oder der Islam gar als gewalttätige Religion dargestellt. Statt die Vielschichtigkeit von gelebtem muslimischen Alltag sichtbar zu machen und Migration als einen normalen gesellschaftlichen Prozess zu präsentieren, findet man in vielen Schulbuchpublikationen eine Reproduktion von Bildern, die bereits die Medien und den öffentlichen Diskurs dominieren. Insbesondere die Gleichsetzung von muslimischer Religionszugehörigkeit und Migration kritisierte Frau Prof. Dr. Spielhaus als verhängnisvoll, da diese Praxis die Ansprache muslimischer Schüler_innen als nicht-zugehörige Andere begünstige. Zu begrüßen wäre Frau Prof. Dr. Spielhaus zufolge dagegen eine vertiefte Schulung der Lehrkräfte, die ihnen einen kritischen Umgang mit vorhandenen Lehrmaterialien und Schulbüchern ermöglicht.
Vortrag: Pädagogik zu Islam, antimuslimischem Rassismus und Islamismus. Zwischen Empowerment und Stigmatisierung
(Canan Korucu)
Anschließend referierte Frau Canan Korucu, Projektkoordinatorin im Projekt „Bildmachen – Politische Bildung und Medienpädagogik zur Prävention religiös-extremistischer Ansprachen in Sozialen Medien“ im Verein ufuq.de. Frau Korucu ging in ihrem Vortrag der Frage nach, wie als muslimisch markierte Jugendliche durch eine pädagogische Praxis gestärkt werden können, in der islamische Religion und Religiosität als Ressource gesehen wird. Anhand von Beispielen führte sie aus, dass die tatsächlichen muslimischen Lebenswelten häufig von den stereotypen Bildern abweichen: den einen Islam gibt es nicht. Religion ist immer eine Frage der Auslegung und Interpretation und dabei abhängig von den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen. Im pädagogischen Kontext gehe es daher nicht darum, eine vermeintlich korrekte, liberale oder aufgeklärte Lesart des Islam aufzuzeigen, sondern die Unterschiedlichkeit der Zugänge und Lebensweisen sichtbar zu machen.
Die Rolle der Pädagog_innen könne es sein, eine Wertediskussion unter Jugendlichen zu moderieren, in der die Abwertung Anderer vermieden und der Wunsch nach eindeutigen Antworten hinterfragt werden könne. Die Jugendlichen sollten befähigt werden, eigene Antworten zu finden, um gegen islamfeindliche und islamistische Argumentationsmuster zu bestehen. Für Lehrkräfte sei es vor allem sinnvoll, die Frage „wie wollen wir leben?“ in der Schule zu stellen. Hierzu können alle Schülerinnen und Schüler etwas beitragen und sich einbringen, weil es um das gemeinsame gesellschaftliche Zusammenleben geht. Eigene Sichtweisen können reflektiert und ein Austausch ermöglicht werden.
Podiumsgespräch: Herausforderungen und Möglichkeiten einer differenzierten Islambildung
Im Rahmen der Podiumsdiskussion am frühen Nachmittag wurden mit den Gesprächsteilnehmern die Herausforderungen, der Veränderungsbedarf, aber auch die Chancen in Bezug auf das Themenfeld Islam und Schule erörtert. Teilnehmer_innen der Diskussion waren Sanem Kleff (Geschäftsführerin SOR – SMC), Aliyeh Yegane (Life e.V.), Prof. Dr. Frank Lütze (Universität Leipzig), Cornelia Lukaszewski (Ethiklehrerin). Moderiert wurde die Runde von Jule Wagner (ZEOK e.V.).
Gleich eingangs wurde von Frau Sanem Kleff die politische Dimension des Themas in den Mittelpunkt gerückt: Schule hat den Auftrag, Diskriminierung jeglicher Art zu verhindern und bestehende Ungleichheit abzubauen. Dass es sowohl unter Schüler_innen als auch zwischen Lehrer_innen und Schüler_innen aber immer wieder zu Diskriminierung kommt, zeigen die Ergebnisse der Arbeit von ADAS Berlin – Anlaufstelle für Diskriminierungsschutz an Schulen -, die Frau Aliyeh Yegane im Gespräch vorstellte. Um auf Diskriminierung kompetent reagieren zu können, benötigt es deutlich mehr Fortbildungen für Lehrkräfte und die Verankerung von interkultureller Kompetenz in der Lehre. Gleichzeitig wurde auch von Herrn Prof. Dr. Frank Lütze sowie der Ethiklehrerin Frau Cornelia Lukaszewski ausreichend Raum und Zeit für den Unterricht gefordert, um mit allen Schüler_innen eine Auseinandersetzung über Normen und Werte zu führen sowie verschiedene Religionen auch erfahrbar machen zu können, zum Beispiel über den Besuch von sakralen Orten. Hier würden Sinn und Unterschiedlichkeit einer Religion erlebbar.
Workshopphase
In den anschließenden Workshops konnten sich die Teilnehmer_innen miteinander austauschen und sich mit neuen methodischen und didaktischen Impulsen und Methoden auseinandersetzen. Bei der Auswahl der Workshops sollten die verschiedenen Praxisfelder im Kontext Schule, die sowohl die Schulsozialarbeit als auch den Unterricht umfassen, einen Raum bekommen.
Workshop 1: Schulsozialarbeit im Kontext von Islam und Muslimfeindlichkeit (Prof. Dr. C. Rehklau)
Der Workshop ging der Frage nach, was Schulsozialarbeit bezüglich der Auseinandersetzung mit Muslimfeindlichkeit im Schulalltag leisten kann und muss. Gemeinsam mit den Teilnehmer_innen diskutierte Frau Prof. Dr. Rehklau (Fachhochschule Erfurt) diese Fragestellung, die in der Praxis gut anschlussfähig ist an die grundlegenden Themen der Sozialen Arbeit. So wurde eine Vielzahl an Zusammenhängen zwischen der Reflexion von Muslimfeindlichkeit und der Unterstützung von Partizipation und Antidiskriminierung herausgestellt.
Workshop 2: Religion in der Schule – Möglichkeiten und Grenzen (Wenke Krestin, Jana Moor)
Schule ist neben der Familie der prägendste Sozialisationsort für Kinder und Jugendliche. An der Schule begegnen sich unterschiedliche Lebenswelten. Pädagog_innen fällt dabei die verantwortungsvolle Aufgabe zu, den Austausch zwischen den jeweiligen Einstellungen, Erwartungen und Verhaltensweisen zu unterstützen. Religion kann bei der Identitätsfindung von Kindern und Jugendlichen eine wesentliche Rolle spielen und auf diese Weise auch im Schulalltag ausgehandelt werden. Doch wie viel Religion ist an der Schule „normal“ und wo sind die Grenzen zu extremistischen Formen? Mithilfe von Input und Diskussionen zu Fallbeispielen arbeiteten die Referentinnen Wenke Krestin und Jana Moor (Violence Prevention Network, Leipzig) mit den Teilnehmenden heraus, wie Radikalisierungsprozesse erkannt werden können und wie ihnen durch eine Politik der Anerkennung und Wertschätzung präventiv entgegen gewirkt werden kann.
Workshop 3: Antimuslimischer Rassismus – Ein Thema für den Unterricht?! (Osman Özdemir)
Bildungsforscher_innen konstatieren immer wieder, dass „der Islam“ im schulischen Kontext fast ausschließlich defizitorientiert thematisiert wird. Dies entspricht der öffentlichen Wahrnehmung von muslimischer Religionszugehörigkeit, die nach wie vor eher problemorientiert ist. Die wiederholt geführte Debatte, ob der Islam zu Deutschland gehöre, verdeutlicht dies und trägt dazu bei, dass junge Muslim_innen sich bezüglich ihrer Zugehörigkeit verunsichert fühlen. Umso wichtiger scheint es, diese Debatten in der Schule kritisch zu reflektieren. Im Workshop von Osman Özdemir (Bildungsstätte Anne Frank) wurde anhand von zwei praktischen Methoden gezeigt, wie selbstreflexiv und sensibel zu antimuslischer Diskriminierung im Unterricht gearbeitet werden kann.
Workshop 4: Diversitätsbewusste Zugänge im Unterricht (Aysun Doğmuş)
Diversität als ein soziales Phänomen ist immer auch eingebunden in soziale Prozesse hierarchisierender und zugleich machtvoller Norm- und Differenzsetzungen. Ausgetragen werden diese über soziale Klassifikationen, die mit Körper-, Geschlechter-, Klassen- oder Migrationsverhältnissen korrespondieren. Vor diesem Hintergrund stellte der Workshop von Aysun Doğmuş (Universität Münster) Perspektiven, Möglichkeiten und Spannungsfelder diversitätsbewusster Zugänge im Unterricht dar und zeigte mithilfe von Fallarbeit, dass und warum ein diversitätsbewusster Unterricht nicht zwangsläufig an die (vermeintliche) Diversität der Schüler_innen gekoppelt werden muss.
Schlussbemerkung
An der Fachtagung nahmen insgesamt 87 Personen teil; zu Ihnen gehörten Lehrer_innen, Schulsozialarbeiter_innen, Studierende dieser Fachrichtungen, Mitarbeiter_innen der Landesschulämter Sachsen sowie Sachsen-Anhalts, Mitarbeiter_innen von Kommunen sowie weitere Multiplikator_innen. Getragen von der erfrischenden Moderation von Frau Erol- Kılıç konnte eine angenehme Atmosphäre entstehen, die von Interesse und Austausch geprägt war. Die fachlich hoch interessanten Vorträge und Workshops regten zu vielfältigen Diskussionen an. Betont wurde von den Teilnehmenden, dass man sich ermutigt fühle, sich im Kontext Schule weiterhin gegen Diskriminierung zu engagieren. Hierfür konnten die Teilnehmenden auch das im Foyer bereit gestellte Material nutzen, das zusätzlich zu den praxisorientierten Workshops eine Vielzahl an anregenden Informationen für die eigene pädagogische Arbeit bereithielt. Von vielen Teilnehmer_innen wurde eine Wiederholung oder thematische Vertiefung angeregt.3
Als Veranstalter sind wir mit der Fachtagung rundum zufrieden. Die große Nachfrage zeigt den hohen Bedarf nach fachlicher Qualifikation im Themenfeld. Sowohl für die Teilnehmenden wie auch für die Referent_innen gab es eine Vielzahl an Denkimpulsen und Anstößen. Zu hoffen bleibt, dass auch die Politik reagiert und die Thematik einen angemessene Aufmerksamkeit in den Kultusministerien erreicht.
1Josef Braun: Weg von Stereotypen. An der HTWK diskutierten Pädagogen und Wissenschaftler über „Islam und Schule in Ostdeutschland“ In: kreuzer – Das Leipzig Magazin, Heft 1218, Dezember 2018.
2Der Film sowie weitere Materialien finden sich unter: www.juma-ev.de
3Tuffix und ihre Comics sind zu finden unter: www.tuffix.net